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Eis wie in Italien
Urlaubsgeschichte für Klein und Groß – Man muss nicht verreisen, um Erinnerungen zu wecken
Schon von weitem hörte man ihr Streiten. Es schien kein böser,
wütender Streit zu sein. Eher ein mildes Streitgespräch, das aus einer
Kleinigkeit resultierte. Aufeinander einredend und mit den Armen gestikulierend
schlenderte das Paar über den Marktplatz.
„Nein“, war nun die Stimme der alten Dame zu hören. „Du irrst doch schon
wieder. Wir hatten Schokosahne vereinbart. Mit Bitterschokoladenstückchen.“
„Zitrone“, widersprach ihr Begleiter. „Für heute hatten wir Zitrone
ausgemacht.“
„Wir kommst du ausgerechnet auf Zitrone?“ Ihre Stimme klang empört.
„Weil ich Fruchtgeschmack im Sommer vorziehe. Das weißt du genau. Und Zitrone
ist mein Lieblingseis.“
„Das ist mir bekannt.“ Sie schien Zitrone nicht zu mögen, denn sie verzog den
Mund für einen kurzen Moment zu einem Schmollmündchen, dann hatte sie sich
wieder unter Kontrolle. „Aber ich bin mir ganz sicher, dass wir heute das Eis
meiner Wahl essen wollten.“
Ihre Stimme klang trotzig wie die eines kleinen Mädchens.
Er aber blieb unbeirrt. „Wir hatten gestern Himbeereis. Mit Schlagsahne. Auf
deinen Wunsch.“
„Aber du liebst doch Himbeereis mit Schlag, oder?“
Er nickte. „Und vorgestern wählten wir Bourbonvanille mit Schokosoße. Falsch.
Du wähltest.“
„Aber nur, weil du deinen Eiswunschtag verwechselt hattest. Es war dir recht,
dass ich Appetit auf Vanille hatte.“
Er stöhnte auf, wischte sich über die Stirn, schien verzweifelt zu sein. Dann
aber lachte er auf. Laut. Schallend.
Längst waren sie am Eisstand angekommen und längst erreichte ihr kleiner Disput
viele fremde Ohren.
„Wie wäre es mit Schokosahne und Zitrone. Mit Bitterschokoladenstückchen?“,
mischte sich der Eismann ein. „Damit wäre für jeden etwas dabei.“
Die beiden Streithähne hielten inne. Zwei empörte Augenpaare starrten ihn an.
„Wo denken Sie hin?“, prustete die alte Dame. „Das geht nicht.“
Ihr Mann mischte sich ein. „Es darf nur eine Eiskugel am Tag geben. Das macht
die Entscheidung ja so schwer.“
Der Eismann staunte. „Nur eine Kugel für jeden von Ihnen?“
„Jawohl. Und von der gleichen Sorte.“ Die alte Dame machte eine Pause,
strahlte. „Es soll so sein wie damals in Italien“, erklärte sie. „Wir waren
jung und hatten kein Geld. Und wir waren so verliebt in das italienische Eis.“
„Und in uns“, sagte ihr Mann schnell. „In uns waren wir auch verliebt. So wie
wir es heute noch sind. Und jeden Sommertag erlauben wir uns eine Eiskugel zu
essen. Wie damals, als wir uns mehr als eine Kugel nicht leisten konnten.“
„Oh ja! Das waren schöne Zeiten.“ Die Augen der alten Dame strahlten. „Und sie
sind schön geblieben. Bis heute.“
„Das stimmt. Auch wenn wir uns Tag für Tag um die Eissorte streiten“, sagte ihr
Mann mit einem Lächeln. Er ergriff die Hand seiner Frau, drückte sie und
nickte. „Und sie werden schön bleiben, solange wir einander haben. Und das ist
gut so.“
„Ja“, bestätigte sie. „Wie früher. Und es ist gut so.“ Sie blickte zum Tresen
hinüber. „Jetzt aber möchte ich mein Eis haben. War es Johannisbeereis, das wir
für heute wählten?“
© Elke Bräunling